Urban kandidiert als Spitzenkandidat: Das bürgerliche Gesicht der AfD?

Jörg Urban soll die AfD in den Wahlkampf führen. Die Wahl zum Spitzenkandidaten beim Landesparteitag gilt als gesetzt – obwohl er bis heute vielen unbekannt ist (-> https://idas.noblogs.org/?s=Urban). Vielleicht eine Strategie?

Es gibt da dieses Foto. Es stammt aus dem Herbst 2018, von einem „Trauermarsch“ in Chemnitz: Organisiert von Rechtsextremen, angeführt von Parteigrößen der AfD: Björn Höcke und Andreas Kalbitz in schwarzen Anzügen. Dazwischen, wie ein Fremdkörper: Jörg Urban, im braunen Mantel. Urban war damals schon Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag, aber gerade erst ein paar Monate Vorsitzender der AfD. Unbekannt und schwer greifbar. Im Gegensatz zu Höcke und Kalbitz.

Sechs Jahre später ist Urban immer noch da, an der Spitze seiner Partei. Im September soll er sie zu einem triumphalen Sieg führen. In aktuellen Umfragen steht die AfD in Sachsen bei 34 Prozent. Wenn Urban diese Woche beim Landesparteitag in Glauchau für den ersten Listenplatz kandidiert, ist ihm die Unterstützung seiner Partei gewiss. Manche glauben, er könnte sogar 90 Prozent bekommen. Urban gelte als unumstritten, unantastbar, heißt es. Eine Gegenkandidatur wird ausgeschlossen. Dabei hat sich an der Wahrnehmung von 2018 nicht so viel geändert.

Urbans Videos wirken behäbig und bieder

Urbans Amtskollegen, etwa in Thüringen oder Sachsen-Anhalt, gelten als prominente Scharfmacher, die rhetorisch immer wieder Grenzen verschieben. Oliver Kirchner provoziert im Landtag Ordnungsrufe, Björn Höcke mit seinen Reden Gerichtsprozesse, aber auch Schlagzeilen. Wenn man an sächsische AfD-Politiker denkt, dann kommen einem zuerst der Bundesvorsitzende der Partei, Tino Chrupalla, in den Sinn, oder der Europa-Politiker Maximilian Krah. Der eine sitzt ständig in Talkshows, der andere dreht erfolgreich Tiktok-Videos, erklärt Jugendlichen: „Junge Männer sind rechts“ oder „unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“.

Auch Urban tritt hin und wieder bei Protesten auf, postet auf Facebook und Instagram. Er befüllt seinen Telegram-Kanal mit etwa 1000 Abonnenten, dreht Videos: „Jörg Urban direkt“, heißt ein Format, in dem er sich von einem Mitarbeiter interviewen lässt. Es geht um die Bauernproteste, eine angebliche „DDR 2.0“, „Genderwahn“, „Asylchaos“ – Themen also, die AfD-Anhänger reizen. Durch die Landtagskulisse, Urbans eintönige Art zu sprechen, wirkt das Ganze behäbig und bieder. Vielleicht liegt aber genau darin eine mögliche Strategie?

Urban soll seine „Popularität“ ausbauen

Unter Urbans Führung hat sich die sächsische AfD so weit radikalisiert, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die Partei mittlerweile als gesichert rechtsextrem einstuft. Immer wieder flammt eine Verbotsdebatte auf. In Ostsachsen und dem Erzgebirge demonstrieren AfD-Politiker Seite an Seite mit Akteuren der rechtsextremen „Freien Sachsen“. Unterstützern der Partei hat das lange nichts ausgemacht, weil sie in der AfD eben auch die Möglichkeit sahen, ihrem Ärger über die Ampel Ausdruck zu verleihen – das zeigen frühere Umfragen.

Doch seit Bekanntwerden von Recherchen des Journalisten-Netzwerks „Correctiv“ demonstrieren immer wieder Menschen gegen die Partei – auch dort, wo sie eigentlich stark ist. Im Bund sinken die Umfragewerte. Und für die Landtagswahl in Sachsen gibt es noch andere Alternativen: Die „Freien Wählern“, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Möglich, dass am 1. September auch einige ihr Kreuz bei ihnen machen, weil sie die AfD eben doch für zu extrem halten. Es ist ein Szenario, über das man sich in der Partei durchaus Gedanken macht. Und einen möglichen Ausweg bietet vielleicht ein Spitzenkandidat, der gerade nicht als Krawallmacher gilt. Urban als bürgerliches Gesicht einer rechtsextremen Partei?

Bei der AfD haben sie sich genau angesehen, was Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in den letzten Jahren gemacht hat: Bürgergespräche bis zum Abwinken, Besuch bei lokalen Unternehmen und Festen. Genau das wünschen sich jene von Urban, die sagen, er müsse seine „Popularität“ ausbauen – damit es schließlich reicht, um stärkste Kraft zu werden.